Norseman 2024 - This is not for you. Nothing Personal. But it`s not.

Seit 5 Jahren versuche ich einen Startplatz für den Norseman (ein Rennen in Norwegen zu bekommen). Das ist insofern gar nicht so einfach, da die Plätze dafür äußerst begehrt sind (250 Plätze auf ca. 9.000 Bewerber). Allerdings landet man für jedes „versuchte“ Jahr einmal mehr im Lostopf, sodass man spätestens zur Rente ziemlich sicher dabei ist 😊

Wem der Norseman noch nichts sagt, oder auch generell, empfehle ich dieses sehenswerte Video https://www.youtube.com/watch?v=Q7shBX_olWs

Letztlich ergab es sich dann, dass ich im November bei einem Freund und einem Glas Wein saß und beiläufig meine Emails checkte und folgendes erblickte:

Meine Freude war unglaublich groß, da ich bisher noch kein Rennen für 2024 im Kopf hatte, welches das „Feuer zum Lodern“ brachte. Mit der Email brannte das Feuer/die Panik nun lichterloh 😉

Am nächsten Tag habe ich mich dann mit dem Athleten-Guide auseinandergesetzt und dabei doch so einige zusätzliche Challenges entdeckt:

  • Man benötigt für die letzten 5 KM der Laufstrecke einen Begleitläufer (das war mir bereits bekannt)
  • Das Rennen ist ein Punkt-zu-Punkt Rennen. Man endet 226km entfernt von dem Ort, an dem man von der Fähre geschmissen wird 😊 – sprich man muss auch die Unterkunft am Renntag wechseln
  • Jeder Teilnehmer benötigt ein Supportfahrzeug mit Supporter der einem Flaschen/Ernährung anreicht, da es keine offiziellen Verpflegungsstellen gibt
  • Man benötigt einen Rucksack mit Rettungsdecke, warmer Kleidung, Stirnlampe für die letzten 5 KM auf den Mt. Gausta

Generell ist der komplette Athleten-Guide wenig motivierend formuliert und es fallen regelmäßig Äußerungen wie: „We sincerely appreciate your interest. But for now, this is not for you.“

Hinzu kam dann noch die Planung der kompletten Reise nach Norwegen … Insbesondere die letzten 2 Wochen wurden noch einmal spannender als geplant, da mein Sohn mich mit einem grippalen Infekt aus dem Landschulheim beglückte und ich noch bis zur Rennwoche mit Fieber im Bett lag. Da sich Anfang der Woche wieder Normal-Temperatur eingestellt hatte fiel dies als Ausrede weg und so ergab es sich, dass ich am Mittwoch, drei Tage vor dem Rennen, in Eidfjord ankam.

Ich erspare euch die Details wie wunderschön es in Eidfjord ist (wenn man nicht gerade zum Sport dort ist), aber wenn ihr mal nicht wisst wohin mit den Urlaubstagen, dann ist das sicher eine fantastische Option.

Die Tage vor dem Rennen vergingen dann letztlich wie im Flug und mittlerweile war auch mein Support 2 (Kerstin, meine Schwägerin als Begleitung auf den Mt. Gausta) angekommen und mit Support 1 (meiner Frau, die mich auf dem Rad und den ersten 32Km vom Lauf verpflegte) sowie meinem Sohn (zuständig für die Motivation) war ich in besten Händen.

 

Race Day

Schwimmen (3,8km, 15 Grad Wassertemperatur, flach wie ein Spiegel)

Aufgrund der zeitintensiven/schweren Strecke startet beim Norseman alles etwas früher als sonst bei einer „normalen“ Langdistanz. So öffnet die Wechselzone bereits um 2:45 Uhr *Schock* und das Boarding für die Fähre startet um 3:30 Uhr. Der Abschied von meiner Familie für den Schwimmstart war für mich sehr emotional, da ich doch gewaltigen Respekt vor dem Schwimmen und insbesondere der Wassertemperatur hatte.

Auf der Fähre angekommen ist die Stimmung sehr speziell und man spürt die wachsende Nervosität mit jedem Meter, den man weiter ins Fjord gefahren wird. Ich bin dankbar über etwas ablenkende Gespräche mit 3 weiteren deutschen Startern (Seven, Svenja und David).

Gegen 4:15 Uhr beginnt dann das „Spraying“. Dabei wird kaltes Wasser aus dem Fjord nach oben gepumpt und man kann sich schon mal etwas an die Kälte gewönnen und den Neopren etwas „fluten“. 15 Minuten später kommt dann die Ansage man soll sich bereit machen für den Sprung und wir wackeln alle Richtung Boardkante. Die ersten erhalten die Anweisung „Jump“ und verschwinden schlagartig in der Dunkelheit. Dann bin ich an der Reihe. Einmal tief durchatmen, die Brille und Kappe gut festgehalten und ich springe. Ich falle - etwas länger als mir lieb ist -  und tauche etwas tiefer ein als erwünscht, aber der erste Schritt ist gemacht. Dann schwimme ich Richtung Startlinie (das Rennen startet nicht mit dem Sprung, sondern an einer mit Kajaks markierten Startlinie 400m von der Fähre entfernt in Ufernähe). Eigentlich würde mir diese Distanz bereits für die erste Disziplin reichen, aber man kann es sich ja nicht aussuchen 😉

An der Startlinie angekommen schwimme ich noch etwas auf und ab und dann erfolgt der Startschuss durch das Horn der Fähre und das Anheben der Kanu-Paddles. Ich versuche bewusst locker zu schwimmen. Dennoch bekomme ich nach ca. 200m etwas Panik und muss mich zwingen ruhig zu bleiben. So langsam finde ich meinen Rhythmus und komme gefühlt gut voran. Nach ca. 3 Kilometern erreiche ich die einzige Boje und kann links abbiegen Richtung Schwimmausstieg. Hier wird es nochmal etwas kälter, da ein Fluss kaltes Gebirgswasser in den Fjord spült, aber die Aussicht auf das Schwimmende erwärmt mein Herz 😊

Selbst der Schwimmausstieg ist hier gefühlt schwieriger als bei anderen Rennen und die Steine rutschiger. Ein Helfer ruft meine Startnummer und das ist das Zeichen für Simone mich in die Wechselzone zu begleiten. Ohne ihre Hilfe wäre ich wohl noch heute in der Zwangsjacke von Neopren-Unterhemd gefangen. Dann geht es aufs Rad.

Rad (180km, 3540 Höhenmeter)

Das Gute an der Radstrecke ist, dass es nach dem kühlen Schwimmen gleich mal 1.200 Höhenmeter bergauf geht, sodass es einem spätestens da wieder warm wird 😊

Ansonsten sind die ersten 30 Kilometer sehr abwechslungsreich und landschaftlich wunderschön (Wälder, Wasserfälle, reißende Flüsse und steile Berge). Im Wesentlichen geht es allerdings auf kleinen Radwegen um die Berge herum oder auf Tunneln durch dieselben Berge hindurch. Lediglich Flachstücke oder Abfahrten gehören zu Beginn nicht zu den Sehenswürdigkeiten ☹ Ein „Highlight“ ist der pechschwarze Måbø-Tunnel mit 1,9km Länge und 7% Steigung.

Ansonsten sind nun auch viele Supportfahrzeuge auf der Straße die langsam nach vorne fahren um Position zu beziehen und ihre Athleten zu verpflegen (das ist von KM 20 – KM 142 erlaubt). Soweit ich das beurteilen kann, klappt das prima und hiermit ein Dank an alle rücksichtvollen Supportern/Fahrern auf der Strecke.

Nach ca. 25 Kilometern treffe ich dann auch das erste Mal auf Simone und Meo und werde wie geplant mit einer neuen Trinkflasche versorgt. Mittlerweile bin ich auf einer Art Hoch-Plateau angekommen und die Landschaft verändert sich. Am Straßenrand stehen alle 20m hohe Holzstecken um die Schneehöhe zu markieren, aber bei 15-20 Grad ist es glücklicherweise schneefrei.

Ein ersten Schreck bekomme ich beim Blick auf den Tacho. In den ersten 2 Stunden bin ich nicht viel mehr als 40 Kilometer weit gekommen und ich bekomme einen ersten Vorgeschmack, dass sich der Norseman von anderen Langdistanzen durch eine längere Renndauer abhebt 😊

Der Mittelteil der Strecke geht dann wenigstens deutlich zügiger voran, die Verpflegung durch Simone klappt hervorragend und alle Systeme sind auf „grün“. Das ändert sich dann allerdings schrittweise bei Kilometer 100 und es reihen sich Anstiege und Abfahrten aneinander. Dabei ist eigentlich jeder Anstieg länger als es angenehm ist und auch zusätzlich länger als der vorherige (der ja eigentlich auch schon zu lang war 😉 ).

Am letzten Anstieg (Kilometer 142) erwarten mich Simone, Kerstin und Meo erneut mit einer Trinkflasche. Ich muss erbärmlich ausgesehen haben, wie ich mich mit einer Trittfrequenz von 40 und einer Geschwindigkeit einer Nacktschnecke auf sie zubewegt habe. Dort oben angekommen gab es ein paar aufmunternde Worte und Dank 1.000 Höhenmetern bergab ging es nun zügig Richtung Wechselzone 2.

Lauf (42,2km, 1.480 Höhenmeter)

Da sich die zweite Wechselzone 180km entfernt vom Start befindet kann man diese schlecht selbst einrichten und man ist somit auch hier auf Support angewiesen. Dies hat prima funktioniert und so haben mich, neben Simone und Meo, dort auch meine Laufschuhe erwartet 😊

Laut Streckenplan sind die ersten 25 km relativ flach (wobei sie auf dem Plan flacher aussehen als sie sind). Ich versuche möglichst locker loszulaufen um ausreichend Energie aufzunehmen und auf alle Fälle zu vermeiden, dass ich Gehpausen einlegen muss. Beim Norseman gibt es nämlich neben den üblichen Cut-Offs für Schwimmen, Rad und Lauf auch noch einen besonderen Cut-Off bei KM 37 Stavsro. Dort dürfen nur die ersten 160 Teilnehmer den Anstieg auf den Gaustatoppen auf sich nehmen und werden dann mit einem schwarzen Finisher-Shirt belohnt. Alle anderen drehen an der Stelle um und laufen die 5 km wieder bergab, sodass diese auch auf einen vollen Marathon kommen und ebenfalls mit einem Finisher-Shirt (weiß) belohnt werden.

Für diese letzten 5 Kilometer ist dann auch ein Begleitläufer vorgeschrieben und da Kerstin extra dafür angereist ist wollte ich natürlich unter allen Umständen dieses Ziel auch erreichen.

Aber erst mal wieder zu den vermeintlich flachen Kilometern. Durch die geringe Teilnehmerzahl hält sich der „Trubel“ auf der Laufstrecke in Grenzen und die Ablenkung erfolgt im Wesentlichen durch die anderen und eigenen Supporter die begeistert anfeuern.

Durch Kerstin und Simone weiß ich, dass ich so um Platz 70 liege. Somit beginne ich die Überholungen zu zählen, um zu wissen, wie sich die Platzierung verändert. Der Läufer vor mir ist etwas langsamer als ich und kurz bevor ich auf Platz 69 vorrücke werde ich selbst überholt. Allerdings übergibt sich der Kollege nach keinen 500m, sodass ich doch auf Platz 68 vorrücke. Keine 2-3 Minuten später kommt der Kerl mit dem sensiblen Magen wieder und überholt mich erneut, um sich auch erneut zu übergeben 😊

So geht es letztlich dahin und die Anstrengung nimmt mittlerweile deutlich zu. Bei Kilometer 20 erblicke ich ihn (den Gaustatoppen) das erste Mal. Man kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass man da hoch muss.

Nach 5 weiteren Kilometern verlasse ich bei km 25 dann die größere Straße und es geht links ab in den Zombie Hill. Was mich da erwartet, darauf war ich nicht vorbereitet. Vor mir tut sich eine Betonwand jenseits der 10% auf. Da es mir prinzipiell noch gut geht fange ich an loszutippeln. Dennoch komme ich den gehenden Athleten vor mir nur in Zeitlupe näher. Beim Laufen geht der Puls  so hoch, dass ich Sorge habe das Bewusstsein zu verlieren, was zur Folge hätte, dass Kerstin vergeblich auf mich wartet. Also wechsle ich zwischen Gehen (in den steilen Teilen) und wenn es flacher wird (was nicht oft vorkommt) in eine Art Joggen, das den Namen eigentlich nicht verdient.

Unterm Strich komme ich trotz allem voran und mache Plätze gut. Dennoch dauert einfach jeder Kilometer ewig und das ist mental schon herausfordernd. Bei Kilometer 32 sehe ich dann das letzte Mal Simone und Meo (der mich ein paar hundert Meter begleitet und motiviert). Dann beginnt der „Endspurt“ zur Weiche bei Kilometer 37 (alleine für diesen benötige ich ca. 40-45 Minuten 😉).

Dann, endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit erblicke ich Kerstin und die Kontrollstelle bei Kilometer 37. Dort liege ich auf Platz 58 was den Eintritt auf den Berg bedeutet *yippie*.  Allerdings wird man erst noch 2 Minuten aufgehalten für einen kurzen Check, ob man noch weiß wer man ist. Der Rucksack (Stirnlampe, Rettungsdecke, Regenjacke, Hose, …) wird kontrolliert für den Fall, dass sich das Wetter im Berg verschlechtert.

Dann bekommen wir das Zeichen, dass ich noch Herr meiner Sinne bin, und wir dürfen weiter. Während die ersten 500m noch halbwegs flüssig sind wird dann das Gelände immer steiler und steiniger. Gelegentlich muss man auch mal die Hände zur Hilfe nehmen, aber im Wesentlichen ist es ein 5 Kilometer langes Treppen steigen mit Stufen unterschiedlichster Höhe und manchmal unklarer Routenwahl.

Der Austausch mit Kerstin lenkt mich ab und wir kommen gut voran. Während wir die ersten Kilometer noch einen traumhaften Blick ins Tal haben (angeblich sieht man vom Gaustatoppen 30% der Landfläche Norwegens) zieht es auf dem letzten Kilometer schlagartig zu und wir können den Gipfel nicht mehr sehen. Dann allerdings ein Schild „100m to become a Norseman“. Schnell ein Bild gemacht und weiter.

Dann noch ein paar letzte Stufen und wir sind oben. Kerstin und ich umarmen uns, Simone und Meo sind per Face-Time auch dabei und dann ist es geschafft und wir sind im Ziel.  In dem Moment bin ich primär erst einmal froh, dass es vorbei ist. 😊 Alleine für die letzten 5 Kilometer haben wir 1:20 Std. benötigt und auch der Sieger war nur knapp unter eine Stunde.

Für mich war der Norseman das Härteste, was ich bisher gemacht habe.

Das zeigt sich auch in den Zeiten, in jeder Disziplin war es meine langsamste Zeit aus ca. 15 Langdistanzen (Schwimmen: 1:22, Rad: 6:56, Lauf: 5:19, Gesamt: 13:44 und Platz 63)

Ein besonderer Dank gebührt meiner Familie (Meo, Simone und Kerstin). Ohne sie wäre dieses Abenteuer nicht möglich gewesen und auch nicht so schön.

Nun mit ein paar Wochen Abstand blicke ich voller Stolz und Zufriedenheit auf den Renntag zurück.

This was for me! I am a Norseman! 😊

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